Wärmewende kann mit Aquathermie gelingen

Informationsveranstaltung von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) zu den Potenzialen der Wärmegewinnung aus Abwasserkanälen

Emscher-Lippe-Region. Duschen, Kochen, Putzen – alltägliche Vorgänge, bei denen jedes Mal Abwasser anfällt. Was dann in den unterirdischen Kanälen verschwindet und am Ende in der Kläranlage landet, ist weit mehr als ein Abfallprodukt: Der stetige Strom an Abwasser ist besonders aufgrund seiner konstant hohen Temperatur eine verlässliche Energiequelle. Bisher spielt Abwasser in der Debatte zur Energiewende noch eine untergeordnete Rolle. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Abwasser wird es immer geben. Es ist eine lokale, sichere, regenerative und langfristig verfügbare Energiequelle und unkompliziert nutzbar. Über all diese Vorteile der als Aquathermie bezeichneten Abwasserwärmenutzung informierten Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) am Donnerstag in Bochum unter anderem Vertreter*innen aus der Wohnungswirtschaft, der Politik sowie von Stadtwerken. Eine Impulsrede hielt Mona Neubaur, Wirtschafts- und Klimaschutzministerin des Landes Nordrhein-Westfalen.

Die Aquathermie ist eine gängige Technologie, die hierzulande jedoch kaum genutzt wird. In Frankreich ist man da bereits deutlich weiter: Der Elysée-Palast (Sitz des französischen Präsidenten), der Senat sowie das Gebäude der Assemblée Nationale (Nationalversammlung) werden unter anderem auch mit aus dem Pariser Abwasserkanalnetz gewonnener Wärme geheizt. In Deutschland fließt täglich eine gigantische Menge Abwasser durch hunderttausende Kilometer Kanalnetz, das bisher weitgehend ungenutzte Restwärme enthält. Mit dieser Restenergie könnten in Deutschland 4 bis 12 Millionen Menschen klimafreundlich heizen.

„Die Gestaltung der Wärmewende in NRW ist eine der größten Herausforderungen, vor der wir in den nächsten Jahren stehen. Um die Wärmenetze nachhaltig zu dekarbonisieren, müssen die Potenziale der erneuerbaren Energien vor Ort ausgeschöpft werden. Die Aquathermie ist gerade im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe eine Möglichkeit, um die Wärmewende erfolgreich umzusetzen. Um diese Potenziale künftig zu heben, ist es besonders wichtig, alle relevanten Akteure zusammen zu bringen und wirksam zu vernetzen“, sagt Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur.

„Wir als Metropole Ruhr wollen die grünste Industrieregion der Welt werden. Dies gelingt nur mit Innovationen und einem ganzen Werkzeugkoffer an verschiedenen Technologien. Die Nutzung von Aquathermie ist solch eine Technologie“, sagt Dr. Frank Dudda, Vorsitzender des Genossenschaftsrates der Emschergenossenschaft. Das Ruhrgebiet ist mit seinen über fünf Millionen Einwohner*innen eines der größten Ballungsgebiete in Europa. Das bedeutet auch: Nirgendwo ist das unterirdische Kanalnetz so dicht wie direkt vor unserer Haustür. „Darin schlummert ein gewaltiges Potenzial an bisher ungenutzter Energie. Nicht nur ökologisch liegt hier ein Schatz, den es zu heben gilt. Auch ökonomisch ist die Abwasserwärmenutzung eine ernst zu nehmende Alternative zu fossilen Energieträgern und bietet ein hohes Maß an Versorgungssicherheit“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

Pilotprojekt wurde 2009 erfolgreich in Bochum umgesetzt
Vor allem die Kommunen stehen aktuell vor dem Hintergrund hoher Energiepreise vor der Herausforderung, eine Wärmeplanung aufzustellen. Abwasserwärme kann einen nachhaltigen und effizienten Baustein eines ganzheitlich betrachteten, kommunalen Wärmekonzepts bilden. Insbesondere für Abnehmer wie Seniorenwohnheime, Bäderbetriebe oder Kläranlagenbetreiber ist Abwasserwärme eine sinnvolle Möglichkeit, sich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Ein gutes Beispiel zeigt ein Pilotprojekt von EGLV in Kooperation mit der Stadtwerke Bochum GmbH auf: 2009 wurde die Aquathermie im Bochumer Nord-West-Bad umgesetzt. „Wir nutzen die Abwasserwärme aus dem nahegelegenen Marbach. Mit messbarem Erfolg: Wir decken damit bis zu 65 Prozent des Wärmebedarfs und sparen gleichzeitig bis zu 40 Prozent CO2. Diese Technologie ist sicher dazu geeignet, künftig einen großen Beitrag in der Wärmenutzung zu leisten“, berichtet Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch.

„Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern wie Öl, Kohle und Gas – die nur endlich verfügbar sind und über ihre Verbrennung klimaschädliche Emissionen mit erheblichen Folgeschäden und -kosten erzeugen – ist Abwasser fast überall und dauerhaft verfügbar und hat selbst in den Wintermonaten relativ hohe und konstante Temperaturen“, sagt Dr. Frank Obenaus, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft. Die warme Dusche, das abgegossene Nudelwasser oder die Toilettenspülung – das alles mischt sich zu einem Abwasser, das die Haushalte mit einer Durchschnittstemperatur von 25 Grad verlässt. Fließt das Abwasser durch die unterirdischen Kanäle, hat es durch die gute Isolierung des Erdreichs eine Durchschnittstemperatur von rund 10 bis 15 Grad, je nach Jahreszeit. Wird ein Wärmetauscher im Kanalrohr oder idealerweise im Ablauf einer Kläranlage installiert, überträgt er die Wärme und macht diese in Kombination mit einer Wärmepumpe für den Heizkreislauf nutzbar. Somit kann mit Abwasserwärme geheizt oder im umgekehrten Fall auch gekühlt werden.

Erstklassige Infrastruktur: die Abwasserkanäle und Kläranlagen von EGLV
Mit seiner hohen Bevölkerungsdichte und der daraus resultierenden Dichte des Kanalnetzes in Verbindung mit mehreren Großkläranlagen ist das Ruhrgebiet wie keine andere Region in Deutschland dafür geeignet, mit Abwasserwärme zu heizen und zu kühlen. Mehrere Hundert Kilometer dieses dichten Kanalnetzes gehören EGLV – und jeder dieser Kanäle ist eine potenzielle Wärme-Autobahn. „Wenn nur zehn Prozent der potenziellen Abwasserwärme genutzt würden, könnte das EGLV-Netz den Wärmebedarf einer mittelgroßen Stadt mit zirka 30.000 Einwohner*innen decken“, so Uli Paetzel.

Emschergenossenschaft und Lippeverband
Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) sind öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsunternehmen, die als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip leben. Die Aufgaben der 1899 gegründeten Emschergenossenschaft sind unter anderem die Unterhaltung der Emscher, die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie der Hochwasserschutz. Der 1926 gegründete Lippeverband bewirtschaftet das Flusseinzugsgebiet der Lippe im nördlichen Ruhrgebiet und baute unter anderem den Lippe-Zufluss Seseke naturnah um. Gemeinsam haben Emschergenossenschaft und Lippeverband rund 1.700 Beschäftigte und sind Deutschlands größter Abwasserentsorger und Betreiber von Kläranlagen (rund 782 Kilometer Wasserläufe, rund 1533 Kilometer Abwasserkanäle, 546 Pumpwerke und 69 Kläranlagen). www.eglv.de