Sozialraumanalyse: Emscher-Umbau wichtiger Impuls für die Region

Studie des Zentrums für Interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Universität Bochum

Emscher-Gebiet. Das Zentrum für Interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Universität Bochum hat auf Initiative der Emschergenossenschaft die Region nach verschiedenen sozialen Gesichtspunkten unter die Lupe genommen. Die Sozialraumanalyse kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass das Generationenprojekt Emscher-Umbau ein wichtiger Impuls in einer mehrfach benachteiligten Region ist und dass die positiven Effekte des wasserwirtschaftlichen Infrastrukturprojektes durchaus bei der Bevölkerung ankommen.

Die Emscher war zu Zeiten des Bergbaus und der Industrialisierung kein Fluss mehr, sondern ein offener Abwasserkanal. Jetzt wird sie aktuell wieder ein sauberer Fluss mit grünen Ufern. Seit 1992 läuft der Umbau der Emscher, in den die Emschergenossenschaft mehr als fünf Milliarden Euro investiert. Wie zufrieden sind die Anwohner mit dem Leben am Fluss und wie oft suchen sie ihn auf? Was stört sie, was wünschen sie sich? Diese Fragen sollte das Projekt „Leben an der neuen Emscher“ klären. Das Projektteam der Ruhr-Universität Bochum (RUB) hatte dazu zu Beginn der Studie im Herbst 2018 rund 2100 Bewohner emschernaher Gebiete angeschrieben.

Die Studie, die in Zusammenarbeit mit der Emschergenossenschaft vom Zentrum für Interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) und den RUB-Lehrstühlen von Prof. Dr. Andreas Farwick, Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler und Prof. Dr. Sören Petermann durchgeführt wurde, soll helfen, die Lebensbedingungen und die Interessen der Menschen vor Ort besser einzuschätzen. Die Emschergenossenschaft will die Ergebnisse in ihre weitere Projektarbeit einfließen lassen.

„Der Emscher-Umbau ist weit mehr als ein rein wasserwirtschaftliches Projekt zur Modernisierung der abwassertechnischen Infrastruktur. Die Renaturierung der Flusslandschaften bringt nicht nur die Natur an die einstigen Köttelbecken zurück, sondern auch Mehrwert-Effekte für die Menschen in unserer Region“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft. „Neben den wirtschaftlichen Effekten unserer Bauprojekte tragen wir mit der Abwasserfreiheit der Emscher-Gewässer erheblich zur Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität an den Bächen und Flüssen bei. Dies fördert wiederum die Gesundheit der Bevölkerung. Darüber hinaus sorgen wir neben einem verbesserten Hochwasserschutz und einer damit einhergehenden Klimaresilienz auch für eine deutlich verbesserte Erlebbarkeit unserer neuen grünblauen Infrastrukturen“, so Paetzel weiter. Im Zuge des Emscher-Umbaus hat die Emschergenossenschaft bereits rund 130 Kilometer ihrer Betriebswege zu Radwanderwegen ausgebaut und damit für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Ergebnisse in Kürze
Die Emscher-Region, das zeigt die Studie, ist die „Problemzone“ des Ruhrgebietes mit geringeren Bildungschancen, schlechteren Wohnverhältnissen und höheren Gesundheitsrisiken. In der Emscher-Region haben weitreichende Veränderungsprozesse in wirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Hinsicht stattgefunden. Der wirtschaftliche Strukturwandel hat sich hier am stärksten negativ auf die soziale und wirtschaftliche Situation ausgewirkt. Die hohen Beschäftigungsverluste seit den 1960er Jahren wurden nicht vollständig durch Arbeitsplätze im Dienstleistungssekttor ausgeglichen. In der Konsequenz des tiefgreifenden wirtschaftlichen Umschwungs sind heute viele Bezirke insbesondere in der Emscher-Region – in der sich ehemals viele Arbeiterquartiere befanden – von einer hohen Arbeitslosigkeit betroffen.

Entlang der Emscher befinden sich eine größere Anzahl mehrfach benachteiligter, armutsgeprägter Wohngebiete mit schlechteren Wohnverhältnissen, niedrigeren Bildungschancen für Kinder und Jugendliche, mehr Lärmbelastung und weniger Grünflächen und damit höheren Gesundheitsrisiken. Hier ergibt sich eine besondere sozialpolitische Brisanz verbunden mit der Herausforderung, die Lebensverhältnisse der Bewohner in diesen Wohngebieten im Sinne einer gesundheitsfördernden Umwelt nachhaltig zu verbessern. Der Emscher-Umbau ist dabei ein wichtiger Impuls, dessen positiven Effekte bei der Bevölkerung laut den Ergebnissen der Studie ankommen.

Der Emscher-Umbau ist ein Generationenprojekt, das die gesamte Region geprägt hat und weiter prägen wird. Menschen, die unmittelbar an der Emscher wohnen und von ihrem Umbau am stärksten betroffen sind, haben – wie die Studie zeigt – ein hohes Interesse am Umbau und seinen Folgen. Das zeigen die unterschiedlichen Ergebnisse für die Untersuchungsgebiete. Dort, wo der Emscher-Umbau weiter fortgeschritten ist, ist die Identifikation mit der Emscher stärker ausgeprägt und es wird deutlich weniger über Geruchsbelästigung geklagt. Aber es gibt noch viel zu tun: So können Freizeitmöglichkeiten und Aufenthaltsqualität vor allem in den Bereichen, in denen die Renaturierung noch nicht begonnen hat, verbessert werden.

„Diesen Aspekt berücksichtigen wir bereits etwa beim Ausbau unseres Emscher-Weges“, sagt Paetzel und verweist neben den Kunst- und Kulturangeboten im Rahmen des Emscherkunstweges (ein Projekt in Kooperation mit Urbanen Künsten Ruhr und Regionalverband Ruhr) auf die Kooperation „Gesund an der Emscher!“ mit der KNAPPSCHAFT, bei der neben Glücksradtouren auch Trimm-Dich-Pfade entlang der Radwege entstehen sollen.

Das Überqueren der Emscherzone als Verbindungsweg, Spaziergänge und Wanderungen sowie Sport (z.B. Radfahren und Joggen) sind in allen Untersuchungsgebieten die drei wichtigsten Freizeitaktivtäten an der Emscher. Die Hälfte der befragten Personen in Dortmund, Recklinghausen und Oberhausen erreicht die Emscher dabei in weniger als 5 Gehminuten, die andere Hälfte benötigt mehr als 5 Gehminuten, um die Emscher zu erreichen. Den vergleichsweise höchsten Freizeitwert hat die Emscher den Analysen zufolge in Dortmund. Hier finden sich die höchsten Nutzungswerte für Spaziergänge und Wanderungen sowie Erholung und Entspannung. Einen praktischen Nutzen haben die Brücken über der Emscher in allen Untersuchungsgebieten, vor allem aber in Oberhausen. Hier nutzen etwa 60 Prozent der befragten Bewohner die Emscher-Brücken wöchentlich oder monatlich als Verbindungsweg. Diese hohen Nutzungswerte sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Emscher sich durch das gesamte Wohngebiet erstreckt und sie für viele alltägliche Wege überquert werden muss. Für sportliche Aktivitäten wie Rad fahren oder Joggen wird die Emscher über alle Lebensphasen hinweg von den Bewohnern genutzt.

Emscher-Umbau alleine reicht nicht – es braucht auch weitere Impulse von Bund, Land und Kommunen
„Der Emscher-Umbau ist der zentrale Entwicklungs-Impuls für eine in besonderer Weise vom Strukturwandel betroffenen Region in Nordrhein-Westfalen. Aber die Umgestaltung des Gewässersystems endet absehbar in den kommenden Jahren. Dieser Impuls muss daher von weiteren Akteuren aufgenommen und verstärkt werden. Dies bedarf einer integrierten Strategie der Förderung von Entwicklung in der Emscher-Region in den Bereichen Stadterneuerung, Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Umwelt und Gesundheit, um nur einige zu nennen“, sagt Prof. Dr. Sören Petermann, Lehrstuhl für „Soziologie / Stadt und Region“ an der Ruhruniversität Bochum.

Eine solche Strategie würde verschiedene Ressorts der Landesregierung, Fördertöpfe von Bund und EU betreffen – aber auch die Kommunen an der Emscher, die auch zusammen Projekte entwickeln müssten. Teilweise geschieht dies bereits heute, so etwa beim Projekt „Emscherland“, einer Kooperation der Emschergenossenschaft mit den Städten Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herne und Herten mit dem Regionalverband Ruhr als weiteren Kooperationspartner. Ebenfalls erwähnenswert ist das Ruhr-Konferenz-Projekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“, bei dem die Emschergenossenschaft gemeinsam mit dem Land NRW, den Kommunen sowie weiteren Wasserverbänden und dem Regionalverband Ruhr konkrete Maßnahmen zur Anpassung der Region an die Folgen des Klimawandels plant und auf den Weg bringt.

Ausgangspunkt beider genannten Projekte ist jeweils der Umbau des Emscher-Systems. „Was 1992 als ein rein wasserwirtschaftliches Vorhaben gestartet ist, strahlt mittlerweile weit über die Grenzen der Gewässerufer hinaus. Unser Emscher-Umbau hat längst auch städtebauliche Effekte, bei denen von der Wasserwirtschaft ausgehend auch Themen und Herausforderungen wie Klimawandel und soziale Aufwertung mitgedacht werden“, sagt Uli Paetzel.

Die Emschergenossenschaft
Die Emschergenossenschaft ist ein öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen, das effizient Aufgaben für das Gemeinwohl mit modernen Managementmethoden nachhaltig erbringt und als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip lebt. Sie wurde 1899 als erste Organisation dieser Art in Deutschland gegründet und kümmert sich seitdem unter anderem um die Unterhaltung der Emscher, um die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie um den Hochwasserschutz.

Seit 1992 plant und setzt die Emschergenossenschaft in enger Abstimmung mit den Emscher-Kommunen das Generationenprojekt Emscher-Umbau um, in das über einen Zeitraum von rund 30 Jahren prognostizierte 5,38 Milliarden Euro investiert werden. www.eglv.de