Letzte „Köttelbecken“ des Lippe-Flusssystems sind Geschichte

Mit offizieller Inbetriebnahme des Pumpwerks Bocksheideweg sind Herringer Bach und Hoppeibach abwasserfrei

Hamm. Die Ära der Köttelbecken ist zu Ende: Der Herringer Bach und der Hoppeibach in Hamm waren die letzten beiden Nebenbachläufe der Lippe im Verantwortungsbereich des Lippeverbandes, die noch Abwasser führten. Über 100 Jahre wurde nicht in die Lippe selbst, aber in etliche ihrer Nebenläufe Abwasser privater Haushalte und Industrieanlagen eingeleitet. Als offene Schmutzwasserkanäle führten sie das Abwasser bis zu den Fluss-Klärwerken, wo es gereinigt wurde. Ab heute ist diese Einleitung Geschichte – mit der offiziellen Inbetriebnahme des Pumpwerks Bocksheideweg durch den Lippeverband sind der Herringer Bach und der Hoppeibach abwasserfrei.

2010 stellte das Bergwerk Ost die Kohleförderung in Hamm ein. Die Zeche Heinrich-Robert in Hamm-Herringen schloss nach Räumung der Untertageanlagen ein Jahr später und machte damit den Weg für den Umbau der Gewässer frei. Bereits seit den 1990er-Jahren liefen beim Lippeverband die Planungen für den Bau unterirdischer Abwasserkanäle entlang der beiden Bäche. Doch zunächst musste der Wasserwirtschaftsverband die letzten Bergsenkungen abwarten, bevor er mit dem Bau der Kanäle (insgesamt zehn Kilometer) beginnen konnte. Neue unterirdische Kanäle alleine reichten allerdings nicht: Zum „Projekt Abwasserfreiheit“ gehörten ebenfalls der Bau von drei Pumpwerken und vier Regenwasserbehandlungsanlagen. „Es war ein absolutes Multi-Projekt, um im Herringer Bach und im Hoppeibach wieder klares, sauberes Wasser fließen zu lassen. An mehreren Baustellen wurde gleichzeitig gearbeitet und mehrere Ziele verfolgt: Abwasserfreiheit, Hochwasserschutz und Resilienz gegen Starkregenereignisse. Der heutige Tag markiert daher einen echten Gewinn für die Hammer Bürgerinnen und Bürger“, freut sich Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender des Lippeverbandes.

Mit dem Druck auf den symbolischen roten Knopf durch Oberbürgermeister Marc Herter und Uli Paetzel wurde das Pumpwerk Bocksheideweg vom Probe- in den Regelbetrieb umgeschaltet und fand dieses Multi-Projekt seinen Abschluss. „Der Bergbau hat unsere Region jahrzehntelang geprägt und seine Spuren hinterlassen – dazu gehörten auch die Köttelbecken. Dieser Tag steht damit auch dafür, dass wir nach der prägenden erfolgreichen Ära der Kohle in eine nachhaltige Zukunft starten“, betont Marc Herter.

Das Pumpwerk Bocksheideweg war das letzte der drei neugebauten Pumpwerke, das seinen Betrieb aufnahm – die anderen beiden sind die Pumpwerke Hoppeistraße und Brüggenkampstraße in Hamm-Wiescherhöfen. Zusammen ersetzen sie fünf ältere Anlagen (das Pumpwerk „Sundern“ in der Fangstraße, die beiden Pumpwerke in Wiescherhöfen RAG und Weetfelder Straße, das vorhandene Pumpwerk Hoppeistraße sowie das Bachpumpwerk „Hoppeibach“) mit deutlich höheren Energieverbräuchen und weniger leistungsstarken Pumpen. Die neuen Pumpwerke pumpen zum einen Abwasser in die neugebauten Kanäle und zum anderen entwässern sie die durch den Bergbau abgesunkenen Wohngebiete in Hamm-Wiescherhöfen und -Herringen von Regen- und Grundwasser. Das Besondere: Die neuen Pumpwerke können nun erstmals Abwasser und sauberes Wasser getrennt voneinander pumpen, sodass das Regen- und Grundwasser aus den Poldergebieten nicht unnötig in der Kläranlage gereinigt werden muss. Und die Pumpwerke Bocksheideweg und Hoppeistraße bieten noch eine Besonderheit, die sie zu den modernsten Pumpwerken in Hamm machen – sie arbeiten völlig autark und können aus der Ferne überwacht, gesteuert und gewartet werden.

Hochwasserschutz
Der Hochwasserschutz stellt am Herringer Bach und am Hoppeibach besondere Anforderungen an den Lippeverband, da sich das Einzugsgebiet durch Bergsenkungen stark verändert hat. Das Gebiet mit den höchsten potentiellen Schäden liegt am Tiefpunkt in der Hoppeistraßen-Siedlung und im letzten Abschnitt des Herringer Baches beim Pumpwerk Herringer Bach. Daher hat der Lippeverband gleichzeitig mit den diversen Baumaßnahmen zur Abwasserfreiheit den Hochwasserschutz für das Gebiet gestärkt.

2014 fand das letzte große Starkregenereignis in Hamm statt – vollgelaufene Keller und Straßen rund um die Hoppeistraße waren die Folge. Als Reaktion darauf beschloss der Lippeverband den Bau von zwei neuen Hochwasserrückhaltebecken. Eines dieser Becken entsteht nordöstlich der Berghalde Sundern am Hoppeibach und kann rund 35.000 Kubikmeter aufnehmen – das entspricht etwa der Menge von 200.000 Badewannen. Ende dieses Jahres wird es vom Lippeverband in Betrieb genommen und kann dann Hochwassermengen aufnehmen, wie sie statistisch alle 250 Jahre auftreten. Gesetzlich vorgesehen ist der Schutz vor einem 100-jährigem Hochwasser. Sobald der Hoppeibach durch sein neues Bachbett und durch das neue Hochwasserrückhaltebecken fließt, wird der alte Bachlauf zwischen der Fangstraße bis zur Hoppeistraße aufgegeben. Das stärkt erheblich den Hochwasserschutz für die besonders gefährdete Siedlung Hoppeistraße.

Am Herringer Bach kann durch ein Drosselbauwerk, welches im Bereich der Kreuzung mit der Kamener Straße errichtet wurde, eine Hochwasserwelle aus dem Oberlauf des Herringer Baches (dort wird er auch Wiescher Bach genannt) zurückgehalten werden. Durch die Bergsenkungen hat sich oberhalb der Kamener Straße, rechtsseitig vom Herringer Bach, eine Senkungsmulde gebildet, die sich nach Aktivierung der Drossel planmäßig füllt. Nach dem Hochwasserereignis kann die Entleerung der Anlage durch Rohrleitungen unter dem Herringer Bach hindurch zum neu gebauten Pumpwerk Brüggenkampstraße erfolgen. In einer kommenden Baumaßnahme wird im Zuge der Umverlegung des Herringer Baches aus der Deichstrecke, an den Rand des Poldergebietes, aus diesem Polder ein großer Retentionsraum. Bis zu 285.000 Kubikmeter Wasser wird er aufnehmen können. Dies entspricht dem Schutz vor einem Hochwasser, wie es statistisch alle 2.000 Jahre einmal vorkommt.

Ökologischen Verbesserung
Die Abwasserfreiheit wurde erreicht, doch noch sind Herringer Bach und Hoppeibach keine natürlich fließenden Gewässer. In den kommenden Jahren wird der Lippeverband rund sieben Kilometer der beiden Bachläufe renaturieren. Die Betonsohlschale wird entfernt, das Ufer naturnah gestaltet und dort, wo der Platz es erlaubt, ein natürlicher schlängelnder Bachverlauf wiederhergestellt. Dann kann in und um die bisherigen offenen Abwasserläufen wieder die Natur einziehen, Wassertiere und -pflanzen gedeihen, Vögel ihre Brutnester bauen. Nur Fische können nicht von der Lippe aus die Bäche besiedeln. Denn im Mündungsbereich liegt der Herringer Bach aufgrund von Bergsenkungen 14 Meter unterhalb der Lippe und muss durch das drittgrößte Pumpwerk des Lippeverbandes in die höher liegende Lippe gepumpt werden.

Bis die Natur wieder übernehmen kann, müssen allerdings erst die Fördergelder durch das Land genehmigt werden. Der Lippeverband hofft, dass er Ende 2024 mit der ökologischen Verbesserung der beiden Bäche beginnen kann. Bis dahin bleiben die einstigen Köttelbecken eingezäunt, denn von den sehr glatten und rutschigen Sohlschalen geht weiterhin Gefahr aus für Menschen.

2012 startete der Lippeverband mit dem Umbau des Hoppei- und Herringer Baches und investierte rund 70 Millionen Euro in deren Abwasserfreiheit. Ein Einzugsgebiet von 39 Quadratkilometern wird durch die neuen Pumpwerke entwässert und nun das Abwasser von rund 56.000 Einwohnerinnen und Einwohnern unterirdisch in die Kläranlage Hamm-West gepumpt und dort gereinigt. Mit dem letzten Teilabschnitt des Umbaus, dem Projekt Bocksheideweg, hatte der Lippeverband im November 2018 begonnen und wollte es planmäßig 2021 fertigstellen. Doch Lieferschwierigkeiten aufgrund von Corona und des Ukrainekrieges führten zu einer Bauzeitverlängerung von rund zwei Jahren. Insbesondere elektronische Bauteile, wie sie für den Betrieb des Pumpwerkes Bocksheideweg benötigt werden, waren lange Zeit nicht lieferbar. Daher konnte das Pumpwerk nicht in Betrieb genommen werden und verzögerte damit die Fertigstellung und den Umschluss aller zulaufenden Abwasserkanäle und der reinwasserführenden Gräben.

Der Lippeverband
Der Lippeverband ist ein öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen, das als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip lebt. Seine Aufgaben sind in erster Linie die Abwasserentsorgung und -reinigung, Hochwasserschutz durch Deiche und Pumpwerke und die Gewässerunterhaltung und -entwicklung. Dazu gehört auch die ökologische Verbesserung technisch ausgebauter Nebenläufe. Darüber hinaus kümmert sich der Lippeverband in enger Abstimmung mit dem Land NRW um die Renaturierung der Lippe. Dem Lippeverband gehören zurzeit 155 Kommunen und Unternehmen als Mitglieder an, die mit ihren Beiträgen die Verbandsaufgaben finanzieren. www.eglv.de