Energieautarkie ist die neue Herausforderung für die Wasserwirtschaft

Jahreshauptversammlung des Lippeverbandes in Unna

Lippe-Gebiet. Ein ereignisreiches Jahr an der Lippe neigt sich seinem Ende zu: Der Umbau der Kläranlage Schermbeck wurde abgeschlossen, während in Marl die Renaturierung des Weierbachs begann und in Hamm der Bau des Erlebensraums Lippeaue zügig voranschreitet. Herausfordernder fällt der Ausblick auf die Zukunft aus, denn die aktuelle Energiekrise tangiert auch die Wasserwirtschaft. Dennoch gibt es eine gute Nachricht: Die Beitragssteigerungen bleiben im kommenden Jahr stabil! Für Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand des Wasserwirtschaftsverbandes, war es derweil die letzte Verbandsversammlung – er geht Ende des Monats in den Ruhestand.

„Die Wasserwirtschaft ist eine sehr energieintensive Branche. Auf Basis langfristiger und nachhaltiger Planungen haben wir unseren Energiebedarf bereits frühzeitig gesichert, sodass wir im Interesse unserer Mitglieder unsere Beitragssteigerungen im kommenden Jahr stabil halten können“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender des Lippeverbandes. Mit Blick auf die nur schwer zu prognostizierende Energiepreisentwicklung über das Jahr 2023 hinaus sei die vollständige Energieautarkie, so Paetzel, eine der größten zu bewältigenden Herausforderungen. „Die Wasserwirtschaft als wichtiger Akteur der Kritischen Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsvorsorge muss noch in diesem Jahrzehnt energieautark werden.“

Die Eigenenergieerzeugung spielt beim Lippeverband bereits seit vielen Jahren eine große und immer wichtiger werdende Rolle. Mehr als 50 Prozent der auf den großen Kläranlagen benötigten Energie werden mittlerweile bereits vor Ort im Zuge der Klärschlammverwertung sowie weiterer erneuerbarer Energieträger wie u.a. Sonnenkraft gewonnen. „Unsere Aufgabe wird es nun sein, im Sinne unserer Mitglieder und Partner – vor allem aber der Bürgerinnen und Bürger – alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Energieeffizienz noch weiter zu steigern“, sagt Bodo Klimpel, Vorsitzender des Verbandsrates des Lippeverbandes und Landrat des Kreises Recklinghausen.

Umbau der Kläranlage Schermbeck
Kläranlagen machen mit rund 20 Prozent den größten Einzelposten des Energiebedarfs einer Kommune aus. Mit einem hohen Grad an Energieautarkie können Anlagenbetreiber wie der Lippeverband nicht nur die Energiewende bewältigen, sondern darüber hinaus einen nachhaltigen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Zusätzlich zu verschiedenen bau- und maschinentechnischen Erneuerungen erhielt zum Beispiel in den vergangenen sechs Jahren die Kläranlage Schermbeck ein neues Prozessleitsystem, das den Steuerungsprozess der Anlage verbessert. Folgen wird im Rahmen der Photovoltaik-Initiative des Lippeverbandes zudem eine PV-Anlage zur Stromerzeugung aus Sonnenenergie.

Seit 2016 wurde die Kläranlage auf den neuesten Stand gebracht und für den aktuellen Bedarf ausgebaut. Nach der letzten umfangreichen Sanierung in den 1990ern war die Anlage in die Jahre gekommen. Außerdem reichte das Behandlungsvolumen nicht mehr für die gestiegene Einwohnerzahl aus. Das Gesamtbudget des Projektes belief sich auf 17,2 Millionen Euro. Die Sanierung fand während des laufenden Betriebs statt – denn als unverzichtbare Infrastruktureinrichtungen müssen Kläranlagen rund um die Uhr laufen.

Weierbach in Marl
Weit vorangeschritten ist mittlerweile der im Sommer gestartete ökologische Umbau des Weierbachs in Marl: Ein offener Schmutzwasserlauf, im Ruhrgebiet auch Köttelbecke genannt, war der Weierbach zwar nie – anders etwa als der Dattelner Mühlenbach oder der Dümmerbach im Kreis Recklinghausen. Doch in der Vergangenheit wurde er abschnittsweise stark technisch ausgebaut. Das ändert sich aktuell: Im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen begann der Lippeverband im Juli mit der ökologischen Verbesserung des Weierbachs. Rund eine Million Euro werden in die Renaturierung investiert. An den Gesamtkosten beteiligt sich das Land Nordrhein-Westfalen mit 420.000 Euro. Die Bezirksregierung Münster fördert die Maßnahme mit rund 460.000 Euro, und der Lippeverband bringt einen Eigenanteil von knapp 115.000 Euro ein.

Der Grund für den einstigen technischen Ausbau lag in der erforderlichen Abführung immer größerer Regenwassermengen aus den Siedlungsgebieten. Doch dies hatte massive Folgen für Flora und Fauna im und am Wasser. Betonsohlschalen und kleine Abstürze verhindern aktuell eine naturnahe Entwicklung sowie eine Durchgängigkeit für Fische und Kleinstlebewesen. Der Lippeverband modelliert aktuell die Gewässertrasse neu. Dies beinhaltet auch eine Laufverlängerung um 300 Meter. So hat der Fluss wieder Raum sich natürlich durch die grüne Landschaft zu schlängen. Außerdem beinhaltet die Maßnahme einen komplett neuen Mündungsbereich in die Lippe. Der Weierbach wird somit wieder ein blauer Fluss mit grünen Ufern, in dem Fische schwimmen und wo seltene Libellen über das Wasser fliegen. Die Maßnahme ist Teil des Programms „Lebendige Lippe“, mit dem die Maßnahmen der Wasserrahmenrichtlinie im Land NRW umgesetzt werden.

Erlebensraum Lippeaue in Hamm
Ein anschauliches Beispiel dafür, wie gut Wasserwirtschaft und städtebauliche Entwicklung Hand in Hand gehen, bietet der Erlebensraum Lippeaue. Diesen erstellt der Lippeverband aktuell mit der Stadt Hamm. Auf einem zirka fünf Kilometer langen Gewässerabschnitt sorgen die Partner gemeinsam mit gezielten wasserbaulichen und naturschutzfachlichen Maßnahmen dafür, den natürlichen Charakter der Lippe und ihrer Aue wiederherzustellen. Für Tiere und Pflanzen ist das Projekt auf jeden Fall ein Gewinn, aber auch der Mensch profitiert: Neue Fuß- und Radwegeverbindungen führen durch die Aue, Lehrpfade und Aussichtspunkte machen die blaugrüne Natur „erlebbar“. Ein weiterer Vorteil der Maßnahme: Durch die neuen Auenflächen entstehen Freiräume, in denen Hochwasser kontrolliert aufgenommen werden kann. Am neuen Kläranlagenauslauf westlich der Münsterstraße sieht es bereits wieder so aus, als wäre dort nie gebaut worden – die Natur hat sich schon wieder weitläufig ausgebreitet.

Dr. Emanuel Grün: Ruhestand nach 17 Jahren als Technik-Vorstand
Verantwortlich für all diese Projekte zeichnete Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand des Lippeverbandes. Er geht Ende des Monats nach fast 17 Jahren im Amt in den Ruhestand. Auf die Frage, was ihm von der Zeit beim Lippeverband in Erinnerung bleiben wird, antwortete Dr. Grün jüngst: „Großartig war sicherlich die Renaturierung der Lippe-Mündung in den Rhein bei Wesel. Auf rund 2,5 km Länge ist dort eine neue, naturnahe Lippe entstanden. Vor dem Umbau war der Fluss im Mündungsbereich ein weitgehend naturfernes Gewässer. Ziel der Verlegung war die Entwicklung einer überflutungsgeprägten Auenlandschaft. Die neue Gewässertrasse ist flacher und wesentlich breiter – und damit eine Voraussetzung für den Erhalt und für die Steigerung einer gesunden Biodiversität. Neben den vielen Renaturierungsmaßnahmen an der Lippe, z. B. im Bereich des Hauses Vogelsang bei Datteln und Olfen sowie dem „Erlebensraum Lippeaue“ in Hamm und dem Projekt „Deichrückverlegung“ in Haltern und Marl, darf auch der Umbau des Lippe-Zuflusses Seseke nicht unerwähnt bleiben. Zwischen dem Ende der 1980er-Jahre und 2014 hat der Lippeverband durch den Bau von vier modernen Kläranlagen und rund 73 Kilometern geschlossener Abwasserkanäle eine neue abwassertechnische Infrastruktur im Einzugsgebiet der Seseke geschaffen. Seitdem fließt nur noch gereinigtes Wasser in der Seseke und ihren Nebenläufen. Durch Initialpflanzungen sowie das Einsetzen von Fischen, u. a. Quappen, wurden darüber hinaus Flora und Fauna angeregt, damit die Natur zurückkehren und sich neue Lebensräume erobern kann.“

Der Lippeverband
Der Lippeverband ist ein 1926 gegründetes öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen, das als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip lebt. Seine Aufgaben sind in erster Linie die Abwasserentsorgung und -reinigung, Hochwasserschutz durch Deiche und Pumpwerke und die Gewässerunterhaltung und -entwicklung. Dazu gehört auch die ökologische Verbesserung technisch ausgebauter Nebenläufe. Darüber hinaus kümmert sich der Lippeverband in enger Abstimmung mit dem Land NRW um die Renaturierung der Lippe. Dem Lippeverband gehören zurzeit 155 Kommunen und Unternehmen als Mitglieder an, die mit ihren Beiträgen die Verbandsaufgaben finanzieren. www.eglv.de